Karate 空手道 als Kampfkunst

Von nicht zu überschätzendem Wert ist es, jede Übungseinheit mit einer Meditation im Stile des Zazen, des stillen Sitzens, zu beginnen. Dies ermöglicht es, die darauf folgenden Übungen, ebenfalls in Stille, in der durch das stille Sitzen geförderten inneren Haltung auszuüben und fördert die Fähigkeit, diese Haltung auch im weiteren Verlauf einer Übungseinheiten beizubehalten, insbesondere auch dann, wenn, je nach Übungsinhalt, später in zwangloser Weise gesprochen wird.

Als Außenstehender hätte man meinen können, in unserem Dojo werde neben Zen nicht nur Karate betrieben, sondern auch Judo, Aikido, Jujutsu, Qigong, Taijiquan und TCM. Dies traf jedoch in dieser Form nicht zu, insbesondere soweit sich diese Annahme auf bestimmte geschlossene Systeme bezieht. Alle diesbezüglichen Übungen gehören unserer Auffassung nach jedoch zu der Kampfkunst Karate, die alles im Kampf Mögliche umfasst. Hierzu zunächst ein kurzer geschichtlicher Rückblick.

Verfolgt man Karate zu seinen Wurzeln von Japan über Okinawa nach China zurück, so wird man vieles finden, das als Bestandteil dieser Kampfkunst verloren gegangen oder nur noch in anderen, teilweise geschlossenen Systemen geübt wird, man wird aber auch vieles finden, das im Laufe der Zeit hinzu gekommen ist.

Karate, wie wir es in unserem Dojo 道場 (japanisch: Ort des Weges) betreiben, ist eine Kampfkunst, deren Ursprünge sich bis in das 6. Jahrhundert zurückverfolgen lasse. Als Sport wird Karate demgegenüber erst seit etwa 1950 betrieben und hat, im Wesentlichen nur als Sport, von Japan aus seit dieser Zeit Verbreitung in der Welt gefunden. Erst wenige Jahrzehnte zuvor ist Karate aus Okinawa in Japan eingeführt worden. Auch auf Okinawa wurde es öffentlich erst seit Ende des 19. Jahrhunderts gelehrt. Zuvor wurde es, oftmals geheim, nur in kleinem Kreis vom jeweiligen Lehrer an einen oder wenige Schüler weitergegeben. Das seinerzeitige Karate auf Okinawa war maßgeblich von chinesischer Kampfkunst beeinflusst, insbesondere von den Stilen der nahe bei Okinawa gelegenen südchinesischen Provinzen. Die chinesischen Kampfkünste waren wiederum eine spezielle Ausrichtung des Qigong, das heißt der Beschäftigung mit der Energie (Qi). Qigong wurde und wird in China unter dem Aspekt der Gesundheit, der Heilung, der Kampfkünste und mit spirituellem und religiösem Hintergrund ausgeübt. Speziell im ersten Jahrtausend n. Chr. war ein starker Einfluss aus Indien auf das chinesische Qigong gegeben.

Der indische Einfluss des Buddhismus erstreckte sich über die spirituellen und religiösen Aspekte im Sinne des Zen oder chan (chinesisch) sowohl auf das chinesischen Qigong, als auch die Kampfkünste (Shaolin Kloster). Der Einfluss der chinesischen Kampfkünste auf die auf Okinawa entwickelte Art der waffenlosen Selbstverteidigung war gravierend. Allerdings sind auf Okinawa viele diffizile Techniken der chinesischen Systeme, z.B. Techniken der offenen Hand und Stimulationen von Vitalpunkten, die ein langes Üben und Entwickeln der Kontrolle des Qi und Kenntnisse der chinesischen Medizin verlangen, durch einfache und mehr muskelbezogene Fausttechniken ersetzt worden. Dafür sind die Systeme auf Okinawa sehr praxisbezogen und kämpferisch. Auch Trainingsmethoden wie der Makiwara sind okinawanischen Ursprungs.

Im Zusammenhang mit den Anfängen der öffentlichen Verbreitung des Karate auf Okinawa Ende des 19. Jahrhunderts sind die Techniken weiter wesentlich verändert worden, sie wurden weniger kämpferisch und betonten mehr die rein physische, körperliche Ausbildung. Es ist davon auszugehen, dass nur die so genannte vordergründige Lehre (Omote) allgemein unterrichtet und die hintergründigen Aspekte (Okuden) weiterhin nur den direkten Schülern anvertraut wurden. Entsprechend wurde beim Einführen des Karate auf dem japanischen Festland Anfang des 20. Jahrhunderts verfahren. Die Kata erfuhren erneut deutliche Veränderungen.

Andererseits hatte Japan eine lange Tradition in den geistigen Aspekten der Kampfkünste. Die zahlreichen Samurai, deren Dienste in den langen friedlichen Zeiten ab etwa 1600 n.Chr. nicht mehr im Kriegseinsatz benötigt wurden, entwickelten in diesen Jahrhunderten den geistigen Weg des Bushido 武士道, den Weg des Kriegers, der ein wesentliches Element in der japanischen Gesellschaft wurde, und das Budo 武道, den Weg der Kampfkünste, dem gegenüber dem Bushido 武士道 die feudalen und militärischen Elemente fehlen und der im Grunde mit Zen identisch ist. Budo 武道 wurde in Japan vorwiegend auf der Basis von Waffensystemen geübt, beispielsweise im Kendo, Iaido und Kyudo, ist aber in gleicher Weise in den waffenlosen Künsten einschließlich der Kunst der leeren Hand möglich.

Die Entwicklung des Karate in Japan, speziell in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts, verlief allerdings in eine andere Richtung. Sie führte, ebenso wie beim Judo, hauptsächlich zum Wettkampfsport.

Mit der Eingliederung des Karate in die japanischen Kampfkünste ging zunächst eine Änderung des Namens einher. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde aus Karate oder to de 唐手, wie es auf Okinawa verwendet wurde, geschrieben mit dem chinesischen Schriftzeichen für China bzw. die Tang Dynastie und für Hand, der japanische Begriff Karate 空手, geschrieben mit dem gleich ausgesprochenen chinesischen Schriftzeichen kara für leer und te für Hand. Karate sollte in Japan als japanische Kampfkunst gelten. Nach dem 2. Weltkrieg bildeten sich an den Universitäten von Tokio Gruppen, die sich zur JKA, zur Japan Karate Association zusammenfanden. Dies war der Grundstein zum Sport, der dann zunächst nach Amerika und später auch nach Europa drang.

Hinsichtlich des Bemühens um das Wiederauffinden, die Ausübung und verantwortungsvolle Weitergabe wesentlicher Elemente der Kampfkünste haben der Budo Studien Kreis BSK (www.budostudienkreis.de) und sein Gründer und Sensei Werner Lind (+ 21.12.2014) Großartiges geleistet. Die Erfahrungen und Forschungsergebnisse der Mitglieder des BSK haben zu einem reichen Fundus geführt, der sich unter anderem in zahlreichen Buch- und Videoveröffentlichungen niederschlägt. Manches von dem in unserem Dojo Geübten entstammt aus Quellen des BSK. H.-Peter Staudt, Gründer und Sensei des Budokan Staudt, war ein langjähriger und enger Freund von Sensei Werner Lind.